Nicaragua: von Canyons, Künstlern und Revoluzzern

Schon der Blick auf die Landkarte des Reiseführers verspricht Abenteuer: Die Reisehighlights liegen im Westen des Landes und im Osten entlang der Karibikküste. Dazwischen ist touristisches Niemandsland. Und tatsächlich: Neben atemberaubender Natur, mehrtägigen Wander- und Kanutreks, Vulkanbesteigungen und Einblicken in das einfache Leben auf dem Land hält Nicaragua einige Überraschungen für Reisende bereit.

Geheimtipp im Norden: Somoto Canyon

Blick auf den Somoto Canyon

Und das fängt bereits bei der Ankunft an. Denn die Hauptstadt Managua ist so ganz anders, als man es sich vorstellt: kaum Hochhäuser dafür zweigeschossige Gebäude, die sich hinter Bäume ducken, wenige Sehenswürdigkeiten und die Warnung, sich nicht alleine draußen zu bewegen. Die Hauptstadt genießt keinen guten Ruf und ist für die meisten Reisenden nur der Ausgangspunkt für die Reisen ins Umland. Auch ich bleibe nur eine Nacht und fahre am nächsten Tag zum Somoto Canyon, der 2004 offiziell entdeckt wurde und erst seit wenigen Jahren für den Tourismus erschlossen ist. Ein lokaler Guide führt unsere Gruppe durch den Canyon. Mal gehen wir über Steine oder Gras, mal schwimmen wir im klaren Wasser oder springen von den Felsklippen. Während wir uns durch diese faszinierende Landschaft bewegen, erzählt unser Führer, dass wir hier ganz nah an der honduranischen Grenze und damit an der Fluchtroute sind. Nur wenige hundert Meter von uns entfernt kommen nachts regelmäßig Nicaraguaner vorbei, die auf der Suche nach einem besseren Leben den beschwerlichen Weg in die USA auf sich nehmen.

Camping über’m Somoto Canyon

León: Stadt der Revolutionäre und Dichter

Nächstes Ziel – nächste Überraschung: León. Nach der Stille und überwältigenden Natur des Somoto Canyon bietet León geschichtsträchtige Straßen, eine moderne Universität und eine lebhafte Partyszene. Ende der 1970er Jahre war León Schauplatz der Revolutionskämpfe. Bilder an Häuserwänden sowie Denkmäler und Statuen erinnern an den Sieg der Sandinisten. Auf einer Free Walking Tour durch die Stadt höre ich zum ersten Mal von der Kreativität und Poesie, die eine wichtige Rolle im Leben der Nicas – wie die Einwohner Nicaraguas sich selbst nennen – spielen. Rubén Darío, einer der bekanntesten von ihnen, ist in einer Statue im Park der Dichter verewigt. Aufgewachsen in León, gilt er als Begründer des Modernismo in Lateinamerika und „Revolutionär“ der spanischen Sprache. León besticht durch sein entspanntes, weltoffenes Flair und ist der perfekte Ausgangspunkt für Vulkanbesteigungen oder entspannte Nachmittag am Meer bei Las Peñitas.

In León
Park der Dichter in León

Solentiname-Archipel: Künstlerkolonie im Süden des Nicaragua-Sees

Seitdem ich im Flugzeug zufällig die Seite über die Solentiname-Inseln aufgeschlagen habe, lässt mich der Gedanke nicht los, dieses verwunschene Archipel im Süden des Nicaraguas-Sees zu entdecken. Um dorthin zu gelangen, fahre ich 12 Stunden mit dem Chicken-Bus bis nach San Carlos. In Juigalpa steigt Jose ein und setzt sich neben mich. Er arbeitet in einer der Silberminen im Osten und besucht am Wochenende seine Familie im Süden des Landes.

Im Chicken-Bus

In San Carlos nehme ich das Boot zur Insel San Fernando, wo ich ein Zimmer mit Terrasse zum See miete. Am Abend wandere ich mit meinem Vermieter Julio über die beschauliche Insel, deren einziger Gast ich zurzeit bin. Er erzählt mir mehr über die hiesige Künstlerkolonie: Der Priester und Freiheitskämpfer Ernesto Cardenal gründete die Kolonie 1966 auf Basis christlicher Werte wie Solidarität, Einfachheit und harmonisches Miteinander. Viele Bewohner– darunter auch seine Schwester Rosa – verdienen mit ihren naiv-farbenfrohen Bilder ihren Lebensunterhalt, denn die Bilder werden inzwischen bis in die USA und Europa verkauft.

Unterkunft auf San Fernando
Naive Malerei

Ausbruch von Protesten: Nicas kämpfen für Demokratie

Kurz bevor ich abreise, brechen in verschiedenen Städten Unruhen aus. Der Markt von Masaya, über den ich vor zwei Tagen geschlendert bin, ist geschlossen, ebenso der angegliederte Busbahnhof. In Managua werden auf der Panamericana brennende Reifen als Straßensperren eingesetzt. Ich bin im Taxi auf der Suche nach einer freien Unterkunft für meine letzte Nacht in Managua. Zum Glück kennt sich mein Taxifahrer gut aus und behält die Nerven. Er erzählt mir, dass die Menschen gegen die geplante Rentenreform demonstrieren. Dass der Protest allerdings so heftig ausfalle, liege wohl an der allgemeinen Unzufriedenheit mit der aktuellen Regierung. Präsident Ortega, der an der demokratischen Revolution im Jahr 1979 beteiligt war, regiert das Land zunehmend im Alleingang mit seiner Frau. Am nächsten Morgen um 5 Uhr fahren wir durch ruhige Straßen zum Flughafen. Während mein Flugzeug abhebt, starten unten die Protestler in einen neuen Tag ihres Kampfes für Demokratie.

Markt von Masaya

Reisetipps

Die Stationen meiner Route waren: León, Somoto, Solentiname, El Castillo, Apoyo-Lagune. Der Norden des Landes bietet herrliche Wandermöglichkeiten zu Wasserfällen, Kaffeeplantagen und auf Vulkane. Im Süden werden entlang des Río San Juan (mehrtägige) Kanutouren und Wanderungen angeboten. Als Surferparadiese gelten San Juan del Sur und Las Peñitas. Viele Vermieter von Unterkünften sind inzwischen auf Whatsapp. Buchungen können direkt über die App vorgenommen werden. Busse sind das Transportmittel Nr. 1 und verkehren regelmäßig zwischen größeren Orten. Die Fahrten können jedoch je nach Region lange dauern aufgrund vieler Stops oder schlechter Straßenverhältnisse. In touristischeren Regionen wie León, der Apoyo-Lagune, Granada, San Juan del Sur und Ometepe wird Englisch gesprochen. Für andere Regionen sind zumindest Grundkenntnisse im Spanischen empfehlenswert.

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