Kennt ihr das? Ihr würdet so gerne mal alleine verreisen oder ein bestimmtes Land bereisen, aber irgendwie traut ihr euch nicht richtig? In meiner neuen Reihe „Ich hätte nie gedacht, dass ich …“ geht es genau um diese Herausforderungen und welche Strategien es gibt, damit umzugehen. In diesem Artikel berichte ich von meiner Wandererfahrung im Riesengebirge.
Es ist Montagmorgen. Ich sitze nicht am Schreibtisch. Ich stehe auf einer Brücke über der Elbe bei Spindlermühle im tschechischen Riesengebirge. Hinter mir die Sicherheit, vor mir die Aussicht auf 3 Tage wandern mit 14 kg Gepäck auf dem Rücken. Fühlt sich mulmig an, ehrlich gesagt. Was, wenn der Rucksack zu schwer ist? Was, wenn das Essen nicht ausreicht? Wo finde ich unterwegs Wasser? Und so ganz alleine draußen in der Natur übernachten hm … Wenn ich so nachdenke, wäre der Schreibtisch eigentlich doch nicht schlecht. Ich dachte nämlich bisher, dass ich das nicht kann. Alleine wandern als Frau mit meiner gesamten Campingausrüstung. Und deshalb habe ich es erfolgreich geschafft, es zu vermeiden. Bei mehrtägigen Wanderungen habe ich entweder auf Hütten übernachtet oder war mit Freundinnen unterwegs, sodass wir Zelt & Co. auf unsere Rucksäcke verteilen konnten.
Ausprobieren statt beweisen
Gleichzeitig faszinieren mich Geschichten von fernwandernden Frauen, wie z. B. die von Franziska, die mit ihrem Freund Felix 6 Wochen lang durch die Mongolei gewandert ist. Mit ca. 17 kg auf dem Rücken. Eine persönliche Begegnung mit ihr im letzten Jahr hat mich sehr beeindruckt und immer öfter tauchte der Gedanke auf „Und wenn ich es doch einfach mal ausprobiere?“ Deshalb stehe ich jetzt hier, über der Elbe, und mache mir klar, dass es genau das ist: Ein Ausprobieren. Ich muss hier niemandem etwas beweisen, auch nicht mir selbst. Ich kann diese Tour jederzeit abbrechen, aber dann hätte ich es wenigstens versucht und würde nicht immer denken „Was wäre wenn …?“.
Das Schwierigste: Mir die Wanderung zutrauen
Ich habe es mir außerdem leicht gemacht: Das Riesengebirge scheint mir mit seiner Wegbeschaffenheit und Höhenunterschieden gut machbar und drei Tage sind absehbar. Zudem ist die Wettervorhersage wunderbar: spätsommerlich mild, kein Regen in Sicht. Ich setze also einen Fuß vor den anderen und merke schnell: Das schwierigste war die Entscheidung im Vorfeld, mir diese Aktion überhaupt zuzutrauen. Seitdem ich den Rucksack aufhabe und mit meinen Wanderstiefeln Schritt für Schritt den Berg hochgehe, ist es eigentlich ganz einfach. Und ich habe Zeit. Nach 3 Stunden erreiche ich das Schutzdach, das ich als Tagesziel gewählt hatte. Das war ein super Tipp in der Tourist-Information. Wildcampen ist in Tschechien verboten, aber es ist möglich, bei den Schutzdächern zu übernachten. Und dieses hier ist besonders schön. Es gibt nicht nur zwei richtige Schutzhütten, sondern auch eine Wasserquelle. Ebenfalls ein super Tipp: Die App mapy, die Wanderkarten enthält und alle möglichen Informationen, die ich als Wanderin so brauche, u. a. eben auch, wo es Schutzdächer und Wasserquellen gibt.
Für das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit lohnt sich jedes Kilo
Es ist erst Mittag und ich habe noch zu viel Energie, um jetzt schon Schluss zu machen. Also schultere ich den Rucksack wieder und gehe weiter. Was ich heute feststelle ist: Hier gibt es fast an jeder Ecke eine bewirtschaftete Hütte, Hungern und Verdursten brauche ich also nicht, selbst wenn meine Vorräte nicht ausreichen sollten oder ich keine Wasserquelle finde. Und ich bin hier nicht alleine unterwegs. Immer wieder begegne ich Menschen, die ich im Notfall um Hilfe bitten könnte. Das finde ich sehr beruhigend. Passend zum Sonnenuntergang komme ich wieder am Schutzdach an. Eine der Hütten ist noch leer und da ich zu faul bin, mein Zelt aufzubauen, rolle ich auf einer der Bänke meinen Schlafsack aus.
Am nächsten Tag geht es in Richtung Schneekoppe. Auf dem Höhenweg ist allerdings so viel los, dass ich ihn bald wieder verlasse und ruhigere Nebenwege wähle. Ja, der Rucksack ist schwer, aber gleichzeitig habe ich dank ihm alles mit dabei, was ich brauche. Und so erlebe ich auf dieser Wanderung ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit, das jedes Kilo wettmacht. Ich genieße jeden Augenblick. Am Nachmittag wird mir klar, dass ich das ursprünglich anvisierte Schutzdach nur mit größter Mühe erreichen würde. Das muss nicht sein, denke ich mir, und beschließe beim nächstgelegenen Schutzdach zu übernachten. Zufälligerweise ist es das Schutzdach von gestern. Beide Hütten sind schon belegt und so schlage ich mein Zelt auf. Es gefällt mir, nach dem langen Tag eine Art Raum zu haben, in den ich mich zurückziehen kann.
Am nächsten Morgen bin ich froh, dass es zurückgeht. Ich merke, dass es bis hierher eine tolle Erfahrung war und ich sie genau an dieser Stelle beenden möchte. Ich freue mich auf ein Eis in Spindlermühle und eine Dusche.
Kleine Schritte raus aus der Komfortzone
Was ich im Rahmen dieser Wanderung beobachtet habe: Es waren vor allem kleine Schritte, die dazu geführt haben, dass ich mir die Wanderung letztlich doch zugetraut habe. Ein Erfahrungsbericht hier. Eine persönliche Begegnung da. Die Überlegung unter welchen konkreten Bedingungen ich so eine Wanderung machen könnte: Welche Region eignet sich? Wie viele Tage traue ich mir bei diesem ersten Versuch zu? Was auch wichtig war: Die Gewissheit, das Vorhaben jederzeit einfach abbrechen zu können, wenn es zu viel wird. Für mich war es deshalb beruhigend, nichts im Vorfeld gebucht haben zu müssen. Stattdessen bin ich drauflos gelaufen und habe jeden Tag geschaut, was ich mir heute zutraue.
Es fühlt sich ziemlich gut an, etwas zu schaffen, von dem ich lange Zeit dachte, ich könnte es nicht. Der Sprung ins kalte Wasser hat sich nicht nur gelohnt, sondern viele neue Möglichkeiten eröffnet. Apropos kalt: Das Eis in Spindlermühle hat fantastisch geschmeckt!
Übrigens erzählt Franziska auf www.ins-nirgendwo-bitte.de von ihren Erfahrungen.