Alleine wandern kann unglaublich schön sein – und ziemlich beängstigend. In einem Moment genießt man die Natur, die Einsamkeit, die Stille. Im nächsten fragt man sich: Was, wenn mir jetzt etwas zustößt und hier ist niemand sonst? Beides habe ich auf einer Wanderung im Triglav Nationalpark in Slowenien erlebt. In diesem Post erfahrt ihr, wie es dazu kam und warum ich immer wieder alleine wandern würde.
Es ist früh am Morgen, der Himmel ist tiefblau, die Sonne versteckt sich noch hinter den Bergen. Mein Auto: Auf dem Dorfplatz geparkt und verschlossen. Ich: Wanderstöcke in der Hand und Wanderrucksack auf dem Rücken, abmarschbereit. Der Plan: In den julischen Alpen wandern. Zwei Tage oder drei oder vier, je nachdem. Wie das Wetter wird. Ob ich dort oben einen Schlafplatz finde. Wie lange das Essen reicht. Und das Wasser. Ehrlich gesagt: Ich habe keine Ahnung, aber ich will wandern, und deshalb geht’s jetzt los.
„Die Hütten haben seit kurzem geschlossen. Aber es gibt Winterbiwaks!“
Vor zwei Tagen bin ich spätabends in Trenta angekommen, einem kleinen Ort am Fluss Soča im Triglav Nationalpark. Das Soča-Tal sei besonders schön und wild, hatte ich gehört, und unbedingt einen Besuch wert. Ein Paradies für Wanderfreunde und für Naturfreunde. Und für Freunde von guter regionaler Küche. Gestern bin ich zur Tourist-Information und habe mich erkundigt. „Ja, hier in der Umgebung gibt es viele tolle Wanderwege. Und Hütten. Aber die haben seit Ende September alle geschlossen. Du kannst aber in den Winterbiwaks übernachten, z. B. auf der 7-Seen-Wanderung. Aber in den Biwaks gibt es nicht so viele Plätze, wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wenn es keinen Platz mehr gibt, musst du zum nächsten Biwak gehen. Du kannst dir die Routen übrigens auch im Internet anschauen, da ist alles genau beschrieben.“ Im ersten Moment bin ich enttäuscht. Im Vergleich zu den Hütten gibt es nur wenige Biwaks, was meine Wandermöglichkeiten stark einschränkt. Dann denke ich mir, Winterbiwak, das klingt nach Abenteuer, also gut.
Ich kaufe die Wanderkarte und verlasse die Tourist-Information. Den Rest des Tages wandere ich entlang der Soča. Am Abend beschließe ich, keine Wanderrouten im Internet nachzugucken, sondern dem Mann aus der Tourist-Information zu vertrauen. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich alles richtig verstanden habe. Manchmal möchte ich Dinge ganz genau wissen. Und manchmal lieber gar nicht.
Die Angst im Gepäck
Und deshalb habe ich jetzt, abmarschbereit, das Gefühl, ich hätte keinen Plan. Die ersten zwei Kilometer sind herrlich. Es geht durch den Wald und über Wiesen, auf einem breiten Weg, stetig aber angenehm bergauf. Die Sonne geht langsam hinter den Bergen auf und außer mir ist niemand unterwegs. Doch bald ändert sich der Weg. Er wird steil, führt über Geröll und mein Rucksack lastet schwer auf meinem Rücken. Warum fällt mir gerade jetzt eigentlich diese Wanderung in Neuseeland wieder ein, wo ich alleine unterwegs war und in einem unachtsamen Moment gestolpert und mit Sack und Pack die Böschung runtergepurzelt bin? Es hätte sonst was passieren können damals, ist es aber nicht. Zum Glück. Doch seitdem ist mir die Gefahr bewusst, die alleine Wandern mit sich bringen kann. Und in diesem Gelände, das eindeutig außerhalb meiner Wander-Komfortzone ist, und mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken, kann ich an nichts anderes mehr denken. Was, wenn jetzt etwas passiert? Hier ist niemand weit und breit und einen Notfallsender habe ich nicht. Nur mein Handy.
„Warum tue ich das??“
Dies ist nicht meine erste mehrtägige Wanderung, die ich alleine mache. Aber vom Terrain her ist es für mich eindeutig die herausforderndste. Ich verfluche mich selbst. Warum bin ich hier? Hätte ich mir gestern Abend doch mal die Wanderrouten angeschaut, dann hätte ich gewusst, was mich erwartet. Und vielleicht hätte ich dann eine andere Route gewählt. Oder vielleicht auch nicht. Denn schließlich könnte ich auch jetzt noch jeden Moment umdrehen, tue ich aber nicht. Im Gegenteil, ich setze einen Fuß vor den anderen, ganz langsam, ganz achtsam, damit meine Füße Halt auf den Steinen finden. Ich mache viele Pausen.
Die Aussicht ist ein Traum! Ich erreiche das Ende des Geröllfelds, auf der anderen Seite erstrecken sich Wiesen. Das Winterbiwak liegt allerdings noch weiter oben. Auf einem schmalen Pfad geht es an einer Felswand entlang. Als ich um die nächste Ecke biege, traue ich meinen Augen kaum: Menschen kommen mir entgegen! Die ersten, die ich heute in all den Stunden sehe. Wir kommen ins Gespräch. Sie waren an der Hütte, aber ein Winterbiwak sei ihnen nicht aufgefallen. Ob ich einen Schlüssel hätte? Ich bin verunsichert, nein, ich habe keinen Schlüssel. Aber ich habe Vertrauen, auch wenn es mir zwischendurch schwerfällt. Der Mann an der Tourist-Information wird mir schon alle notwendigen Informationen gegeben haben. Und das Treffen mit den Amerikanern beschwingt mich. Ich bin nicht der einzige Mensch in dieser rauen Natur und die Hütte ist nicht mehr weit.
Das Gipfel-Gefühl
Und dann sehe ich sie, nach sieben langen Stunden, die Hütte und das Winterbiwak. Ich bin begeistert und erschöpft. Ich bin fasziniert von der Natur um mich herum und freue mich, dass ich es alleine bis hier oben geschafft habe. Ein wunderbares Gefühl! Das Gipfel-Gefühl! Berauschend! Dafür bin ich diesen Berg hochgestiefelt! Die Tür vom Biwak ist unverschlossen und ich bin der einzige Gast.
Am nächsten Morgen fällt es mir schwer, mich von dieser atemberaubenden, einsamen Bergwelt zu verabschieden. Allerdings, ab heute Mittag ist Regen angesagt. Außerdem hatte ich mir gestern Abend noch angeschaut, wie der Weg zum nächsten Biwak beschaffen ist, mit viel Geröll natürlich. Geröll und Regen, das ist für mich keine gute Kombination. Daher beschließe ich, zurück nach Trenta zu gehen. Ich nehme einen anderen Rückweg, der durch Wald und an Flüssen entlangführt. Am späten Nachmittag bin ich zurück, nehme mir ein Zimmer und schaue dem Regen zu. Was für eine Wanderung! Tatsächlich glaube ich im Nachhinein, dass ich diese Wanderung nicht gemacht hätte, hätte ich gewusst, was mich erwartet. Aber dann hätte ich auch den Moment tiefer Zufriedenheit oben auf der Bergkuppe verpasst. Und das Gefühl zu Leben.